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Dieses Thema hat 8 Antworten
und wurde 2.128 mal aufgerufen
  
 Rayy's Geschichtsstunde
Rayydar Offline

Generalspammarschall


Beiträge: 11.943

31.05.2013 01:12
"Der Krieg, der viele Väter hatte"? Antworten

Heute empfahl mir (mal wieder) jemand den Schinken "Der Krieg, der viele Väter hatte" des Generalmajors der Bundeswehr a.D. Gerd Schultze-Rhonhof (S-R). Davon gibt es auch eine gekürzte Online-Version namens "Vorkriegsgeschichte", die ich hier nicht verlinke. Alles weitere bezieht sich auf diese Online-Version, falls nicht anders kenntlich gemacht.

Vorweggenommenes Fazit:
Der Titel "Der Krieg, der viele Väter hatte" ist so ziemlich das einzige, was an S-Rs wesentlichen Aussagen nicht völlig falsch ist. Schon der Versailler Vertrag (Väter: Sieger des WK1, insbesondere Franzosen) führte indirekt zur noch größeren Katastrophe. Ohne Versailles mit seinen Folgen:
- wirtschaftliche Not
- nationale Minderwertigkeitskomplexe
wäre Hitler mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei weitem nicht so erfolgreich gewesen.

Auch die Appeasement-Politik, die Hitler zu immer größeren Dreistigkeiten anstachelte, hatte als Väter die Alliierten, hier insbesondere die Briten. Neville Chamberlain ist m.E. die tragischste Figur des 20 Jhdts.. Als englischer Gentleman glaubte er offenbar tatsächlich an das Gute im Menschen (Hitler!).

Hier jedoch endet schon der Wahrheitsanspruch der "Vorkriegsgeschichte". In allen Details versucht S-R, dem Leser unterzujubeln, Hitler sei ein geradezu von Friedfertigkeit beseelter Mensch gewesen, dem von den späteren WK2-Alliierten sowie von Polen und der Tschechoslowakei der Krieg nachgerade aufgezwungen wurde.

Seine Argumentationsweise ist aus der rechten Ecke nur zu bekannt: Unter dem Vorwand 'vorurteilsloses, undogmatisches Denken' werden Verschwörungstheorien - um nichts anderes handelt es sich bei Geschichtsrevisionismus - in die Welt gesetzt. Mag sein, dass die Mehrheit bzw. herrschende Lehre nicht immer recht hat. Der Umkehrschluss, dass damit automatisch eine Minderheit recht hat, ist jedoch völlig unzulässig!

S-R ist ein Hobby-Historiker wie ich. Allerdings weiß ich, wie man wissenschaftlich arbeitet, s. Grundsätzliches. S-R weiß das vermutlich auch, aber er tut es nicht.

Details:

1. Irrelevantes
S-R schwafelt. Was hat die Bagdad-Bahn mit dem 2. WK zu tun? Gar nichts. Er will nur sein 'profundes' historisches Wissen zur Schau stellen.

2. Anlass zum Krieg?
Dass Tschechen oder Polen das Deutsche Reich angegriffen hätten, wagt selbst S-R nicht zu behaupten; die Faktenlage ist zu eindeutig. Wohl aber ergeht er sich ausführlich in Beschreibungen tschechischer / polnischer Greueltaten, Drangsalierung und sonstiger politischer Unkorrektheiten gegenüber den deutschsprachigen Minderheiten. Ja, diese gab es - Tschechen und Polen waren alles andere als Heilige.

Aber kann das Anlass sein, einen - angesichts französisch-britischer Garantieerklärungen - europäischen Krieg anzuzetteln? (Der Weltkrieg zeichnete sich 39 noch nicht ab.) Kann das ein Grund für die tausendfach größeren Verbrechen an der Bevölkerung der überfallenen Staaten sein? Natürlich nicht!
Vielleicht hätte der Völkerbund etwas ausrichten können? Wohl deshalb war man ja prophylaktisch schon mal ausgetreten.

Es bleibt dabei: Den Krieg haben einzig und allein Hitler und seine NS-Schergen ausgelöst!

3. Wissenschaft? Fehlanzeige
S-R formuliert gut und versteht es, den vordergründigen Anschein wissenschaftlichen Arbeitens zu erwecken. Jedoch berücksichtigt er nicht alle Quellen, sondern nur diejenigen, die ihm in den Kram passen. Das ist grob unwissenschaftlich! Kein Wort über das Schmundt-Protokoll, der Inhalt des Hoßbach-Protokolls wird plump verfälscht.
=> Nachweise für selektives, d.h. unseriöses Zitieren seitens S-R

4. Hitlers Absichten
Folgt man S-R, wollte Hitler 1924 ('Mein Krampf') "Lebensraum im Osten" erobern, dann viele Jahre lang eher nicht, dann - ab 1939 - aber doch wieder, obwohl eigentlich ja nicht, denn er wollte doch nur den friedlichen Ausgleich.
Wie schräg und absolut unglaubhaft ist das denn? Hitler hat seine zentrale Absicht nie aufgegeben - siehe 3.! Dass er keinen Masterplan hatte, ein Chaot, Sponti und zugleich ein Getriebener war, der sein Vabanque-Spiel immer riskanter fortsetzen musste, damit das ganze Kartenhaus nicht zusammenbricht, steht doch seiner grundsätzlichen Absicht nicht entgegen!

S-R führt an, Hitler habe keinen Krieg gegen die UdSSR geplant - sonst hätte die Wehrmacht 1941 ja Winterbekleidung gehabt. Hallo?!? Hitler ging von einem Blitzsieg wie in den vorangegangenen Feldzügen aus! Gestartet hat er 'Barbarossa' schon 1941 entgegen seiner ursprünglichen Absicht (ca. 1945), weil er gegen die Briten nur ein Patt erreicht hatte und deren "Festlandsdegen" beseitigen wollte.

5. General = glaubwürdig?

Dass S-R Generalmajor der BW war, steigert seine Seriosität kein bisschen. Dass Ex-BW-Generäle durchaus Spinner sein können, hat man schon beim 'Friedensgeneral' Gert Bastian gesehen. Positives Gegenbeispiel: Klaus Reinhardt. Der ist studierter Historiker und hat S-Rs wegen dessen schräger Thesen mal von einer Vortragsveranstaltung ausgeladen. Bravo!

Fazit (2):
S-Rs Machwerk ist rechtsdrehender Bullshit für ein entsprechendes Publikum.

„Die Intelligenz auf diesem Planeten ist eine Konstante. Aber die Bevölkerung wächst ...“ - Albert Einstein (zugeschrieben)

Clu Offline

Schreibtischgeneral


Beiträge: 4.080

01.06.2013 12:14
#2 RE: "Der Krieg, der viele Väter hatte"? Antworten

Erstaunlich (und traurig), dass sich immer wieder Leute finden, die Sowas lesen und dann glauben (und gutheißen)...

Väter viele, geboren nur von Einem!

Pavel Offline

Literaturmajor


Beiträge: 1.501

02.06.2013 12:52
#3 RE: "Der Krieg, der viele Väter hatte"? Antworten

Und die Mütter?

denn

"Die Mutter der Dummen ist immer schwanger."

Blumenkind Offline

Nachschubgefreiter

Beiträge: 16

04.06.2013 08:00
#4 RE: "Der Krieg, der viele Väter hatte"? Antworten

Hast Du das Buch eigentlich gelesen, Rayydar?

Rayydar Offline

Generalspammarschall


Beiträge: 11.943

04.06.2013 13:46
#5 RE: "Der Krieg, der viele Väter hatte"? Antworten

Zitat von Blumenkind im Beitrag #4
Hast Du das Buch eigentlich gelesen, Rayydar?

Eine zutiefst unseriöse Frage, weil
1. aus diesem Forumsthread hervorgeht, dass ich es nicht getan habe,
2. der scheinheilige Fragesteller aus einer kilometerlangen PM-Diskussion explizit weiß, dass ich es nicht getan habe.

Ich gedenke auch nicht, Schultze-Rhonhof (S-R) finanziell zu unterstützen, indem ich das Buch kaufe.
Es mag sein, dass das Buch differenzierter ist und Hitler 'mehr Schuld' am 2. WK zugewiesen wird als in hier rezensierten Online-Version. Eine etwaige Abweichung ist jedoch einzig und allein der Fehler von S-R.

Grundsätzlich geht die Frage, zu wieviel Prozent Deutschland und die Alliierten jeweils schuld am 2. WK hatten, völlig fehl. Ja, die Alliierten (+ Tschechoslowakei) hatten jede Menge 'Dreck am Stecken', haben Hitlers Aufstieg begünstigt und ihm einen Vorwand nach dem anderen für seine völkerrechtswidrigen Aktionen geliefert.

Jedoch haben sie Hitler nicht gezwungen, den Krieg zu beginnen.
Das war zu 100% seine ureigene, seit "Mein Kampf" immer wieder ideologisch 'untermauerte' und von langer Hand vorbereitete Entscheidung, auch wenn er sich ursprünglich den 'Kreuzzug gegen den Bolschewismus' und die Eroberung von "Lebensraum im Osten" im Detail anders vorgestellt haben mag.

„Die Intelligenz auf diesem Planeten ist eine Konstante. Aber die Bevölkerung wächst ...“ - Albert Einstein (zugeschrieben)

Blumenkind Offline

Nachschubgefreiter

Beiträge: 16

04.06.2013 14:08
#6 RE: "Der Krieg, der viele Väter hatte"? Antworten

Bitte um Entschuldigung.

Rayydar Offline

Generalspammarschall


Beiträge: 11.943

05.06.2013 02:50
#7 RE: "Der Krieg, der viele Väter hatte"? Antworten

Und hier noch ein Schmankerl aus einem Vortrag von Schultze-Rhonhof nach dem bewährten Motto 'Besser schlecht erfunden als einfach nur wahr':

http://www.youtube.com/watch?v=Uvwb5QPrmc0 24:50

"Und wussten Sie, daß die deutsche Reichsregierung den Polen kurz vor Kriegsausbruch einen 16-Punkte-Vorschlag zur Regelung der deutsch-polnischen Probleme gemacht hat? Die Polen haben diesen Vorschlag nicht angenommen, was man noch verstehen kann, wenn's um den Inhalt geht. Aber sie haben den deutschen Vorschlag auch sächlich nicht angenommen, und so musste dieser Vorschlag über London nach Warschau gehen und kam so in die Hände der britischen Kabinettsmitglieder, so auch in die Hände des britischen Marineministers Cooper.

Herr Cooper hat, wie das Männer so manchmal tun, abends die unerledigten Akten in die Tasche gesteckt und mit nach Hause genommen. Und so lagen sie bei ihm zu Hause herum, und seine kluge Frau hat diesen 16-Punkte-Vorschlag gelesen und zu ihrem Mann gesagt: 'Ich weiß nicht, was Du willst; der deutsche Vorschlag ist doch so vernünftig.'

Und da packte den Minister Cooper das Entsetzen. Denn ihm war plötzlich klar, dass die englische
Öffentlichkeit genauso auf den deutschen Vorschlag reagieren könnte, wie seine eigene Ehefrau,
und er rief stehenden Fußes die Redaktion von Daily Mail und Daily Telegraph an und forderte
sie auf, den deutschen Vorschlag in einem möglichst ungünstigen Lichte darzustellen.

Nun werden Sie mich fragen, woher ich weiß, was abends in der Familie Cooper passiert ist. Der Minister Cooper hat das später in seinen Memoiren selbst so geschrieben.
...
Der französische Historiker Rassinier hat nach dem Krieg über diesen deutschen
Friedensvorschlag geschrieben. 'Hätten das französische und das britische Volk am 30. August
1939 von diesem deutschen Vorschlag Kenntnis gehabt, so hätten Paris und London kaum den
Krieg an Deutschland erklären können, ohne einen Sturm der Entrüstung hervorzurufen, der
den Frieden durchgesetzt hätte.'"

So weit, so schlecht. Natürlich war dieser ultimative 16-Punkte-Plan Hitlers vom 30. August 1939 nicht ernst gemeint, sondern ein billiges Ablenkungsmanöver; die Wehrmacht war ja schon 'auf dem Sprung'. Natürlich war er für die Polen völlig unannehmbar, wenn sie ihren Staat nicht selbst verstümmeln wollten. Auch wusste der polnische Botschafter in Berlin zunächst gar nichts davon, konnte ihn also nicht "sächlich" annehmen.

So sollten die Briten als 'Postboten' fungieren. Nun gut, wenn das Pamphlet schon mal in Whitehall landete, ist es plausibel, dass alle Kabinettsmitglieder eine Kopie erhielten. Alle Kabinettsmitglieder - aber wohl kaum irgendwelche Privatiers! Der angebliche Marineminister (Erster Lord der Admiralität) Alfred Duff Cooper (das engl. Wiki ist präziser) war bereits elf Monate zuvor, Anfang Oktober 1938, zurückgetreten und hatte im August 39 keine nennenswerte Funktion inne. Marineminister war seit Okt. 38 ein gewisser James Richard Stanhope, bis Winston Churchill am 03.09.39 dieses Amt übernahm.

FAIL!

Wenn allerdings Cooper am 31.09.39 noch Marineminister gewesen wäre, hätte er sicherlich das Paper mit nach Hause genommen und 'so rumliegen lassen'. Irgendwelche Geheimhaltungsvorschriften gab es da bestimmt nicht.

In Coopers Memoiren "Old Men Forget" dürfte dieser Vorfall also kaum zu finden sein - leider fehlt in den Google Books-Auszügen genau dieser Zeitraum. Vielleicht hat Cooper ihn vergessen - wenn das Buch schon so heißt.
Wahrscheinlicher ist jedoch die Standarderklärung S-Rs: Die betr. Seiten wurden von den üblichen Agenten der offiziellen Geschichtsschreibung gelöscht.

S-R ist nicht dumm. Normalerweise behauptet er nur haarsträubendes Zeug, dass sich für Normalsterbliche nicht nachprüfen lässt, wie z.B. die vielen weißen Blätter in den Archiven, die doch eigentlich längst vergilbt sein müssten, wenn es - tataaah! - keine finstren Fälschungen wären. Mit der offensichtlich frei erfundenen Cooper-Räuberpistole aber hat er einen Fehler begangen. Warum sollte man ihm also noch irgendetwas glauben?

Dass er sich im folgenden auf den Holocaust-Leugner Rassinier beruft, macht seinen Schund übrigens auch nicht seriöser.

Siehe auch:
Der Spiegel: Herr Hitler will den Frieden retten (1964)
Geschichtsblog: Die These von der polnischen Kriegsschuld

„Die Intelligenz auf diesem Planeten ist eine Konstante. Aber die Bevölkerung wächst ...“ - Albert Einstein (zugeschrieben)

Clu Offline

Schreibtischgeneral


Beiträge: 4.080

06.06.2013 15:37
#8 RE: "Der Krieg, der viele Väter hatte"? Antworten

Glaubst du etwa nicht, dass Polen Deutschland überfallen wollte?
Also wenn Finnland die Sowjetunion bedrohte, dann muss ja das viel mächtigere Polen geradezu verrückt nach Lebensraum im Westen gewesen sein ;)

Rayydar Offline

Generalspammarschall


Beiträge: 11.943

06.06.2013 16:32
#9 RE: "Der Krieg, der viele Väter hatte"? Antworten

Zitat von Clu im Beitrag #8
Glaubst du etwa nicht, dass Polen Deutschland überfallen wollte?

Ja. Die hatten schon genug damit zu tun, sich selbst zu überfallen, denn die Deutsche Wehrmacht hat das angeblich nicht getan. Hatte gerade eine Diskussion, wonach kein deutscher Überfall stattfand, weil die Polen ihn ja irgendwie hätten kommen sehen müssen.

„Die Intelligenz auf diesem Planeten ist eine Konstante. Aber die Bevölkerung wächst ...“ - Albert Einstein (zugeschrieben)

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